Auf Achse: Adler MBS 250 G Sixdays
Das Replik der Adler MBS 250 G Sixdays

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Der Auftritt der Adler Sixdays im Geländesport kam spät, aber heftig. Vier Goldmedaillen bei der Sechstagefahrt 1956 in Garmisch-Partenkirchen krönten den Einstand des spritzigen Zweizylinders – doch auch dieser Erfolg konnte das Ende der Frankfurter Motorradschmiede nicht verhindern.

Das Replik der Adler MBS 250 G Sixdays
Foto: fact

Auf dem Weg, den Zweitaktmotor in Deutschland nicht nur salon- sondern auch alltagsfähig zu machen, stolperten die Adler-Werke über die Absatzflaute im Motorradmarkt, die Ende der 1950er-Jahre unzählige kleine und große Hersteller in den Bankrott trieb. Dabei war die Triumph-Adler AG durch die breite Palette an Industrieprodukten bestens aufgestellt.

Bereits 1898 klapperten in unzähligen Büros flinke Finger mit Adler-Schreibmaschinen akkurate Texte auf weißes Papier, während man sich in den Autoabteilungen mit vierrädrigen Fortbewegungsmitteln beschäftigte und bis ins Jahr 1907 ganz nebenbei ein paar Motorradmodelle auf die Räder stellte.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Adler-Motorräder in den goldenen Jahren des Wirtschaftswunders zu einem lukrativen Geschäftsfeld. Angefangen mit dem kompakten Zweitakt-Einzylinder M 100, der schrittweise auf 150 Kubikzentimeter Hubraum aufgestockt wurde, koppelten die hessischen Ingenieure 1951 zwei 100er-Zweitaktzylinder zum ersten Twin, der Adler M 200, mit 11,4 PS. Doch auch den Adler-Technikern war klar, dass man sich auf dem heiß umkämpften Markt in der etablierten Viertelliter-Hubraumklasse stark machen musste. Also wurde aus der M 200 die M 250-Baureihe.

Unsere Highlights

Im Baukastenprinzip hergestellt, zielte man zunächst eher in die Klasse der Alltagsmotorräder mit einem optisch barocken Auftritt. Mit der folgenden MB 250 Sprinter ging es konsequent in Richtung Sportlichkeit. Dank des kompakten, 18 PS starken Motors und den kleinen 16-Zoll-Rädern waren die Adler deutlich kleiner als beispielsweise die NSU Max. In MOTORRAD Heft 16/1957 bringt es der damalige Chefredakteur Carl Hertweck treffend auf den Punkt: "Die 200er- und 250er-Adler wurden in die kompakte Bauweise früherer 125er sozusagen hineinverdichtet."

Genau diese optisch reduzierte Masse ist es, die auch unserem seltenen Exemplar einer Sixdays Replika, nur 20 Stück davon wurden gebaut, seinen einmaligen Charakter verleiht. Ein Motorrad, das jeden Klassikliebhaber magisch in den Bann zieht, das man aus allen Lagen und Blickwinkeln versucht zu erfassen – und es letztendlich einfach nur schön findet.

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Tachometer mit rückwärts zählender Tageskilometer-Anzeige. Reibungsdämpfer mit zentralem Lenkschloss.

Mit seiner Begeisterung ist der Autor dieser Geschichte nicht allein, denn die Adler Sixdays war beim MOTORRAD CLASSIC-Rätschentreffen in Kornwestheim das Motorrad, das für große Aufregung und noch größere Menschenaufläufe sorgte. Und für Herzklopfen.

„Ich tret’ se dir an, dann kannst a Runde fahr‘n“, grinste der Besitzer und drückte mir das rare Stück in die Hand. Dass diesem kurzen Intermezzo eine ausführliche Reportage für den geneigten MOTORRAD CLASSIC-Leser folgen musste, lag auf der Hand.

Also bugsieren wir die metallicgrüne Adler aus der Werkstatt von Horst Oberwalder im hessischen Rodgau ins warme Licht des Spätherbstes. Während sich der Fotograf auf die Suche nach einem Plätzchen mit passendem Ambiente macht, tuckert der „Testfahrer“ über Wiesen- und Schotterwege. Gemächlich versteht sich, denn dieses liebevoll aufgebaute Geländemotorrad mit klebrigem Lehm einzu-sauen oder im Übermut gar zu verbeulen, wäre mit nichts wieder gut zu machen.

„Die Adler läuft mit idealem Massenausgleich nahezu vibrationsfrei, seidenweich von kleinen Drehzahlen bis oben hin“,  so beschrieb Carl Hertweck in MOTORRAD 16/1957 die Motorcharakteristik. Auch dieser Feststellung ist nichts hinzuzufügen. Und das, obwohl in den Tests immer wieder zu lesen war, dass die Schwungmasse viel zu klein ausgefallen sei.

Davon ist dem Viertelliter-Zweitakter nichts anzumerken. Aus dem Standgas kurbelt er sich ruckfrei durchs Drehzahlband und hält die Sixdays auch nach dem großen Drehzahlsprung in den zweiten Gang munter am Laufen. Wendet man auf engstem Raum, kann man auf eine schleifende Kupplung getrost verzichten, denn ein ruppiges Absterben ist dem Adler-Motor fremd.

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So sahen in den 1950er-Jahren Geländesportmaschinen aus: eher robust und auf Durchhaltevermögen getrimmt, stand die Zuverlässigkeit an erster Stelle.

Dafür gehören die Schaltvorgänge eher zur metallischen Lautmalerei, was eventuell damit zu tun hat, dass die Mehrscheibenkupplung auf dem linken Kurbelwellenstumpf sitzt und – wegen der damit einhergehenden hohen Drehzahl – den Kraftfluss zwischen Kupplungsnabe und Korb nicht ganz frei gibt. Sei’s drum. Flott in Fahrt zwitschert der große Schalldämpfer munter sein Zweitaktgeträller in die Landschaft. Der Reiter schwebt im breiten Schwingsattel wie auf Wolke sieben und freut sich an dem leichtfüßigen Geländesportler, der an sich gar keiner ist, sondern nur eine durch die damals üblichen Zutaten zum Erdferkel mutierte MB 250. Die Ansprüche bei den damaligen Geländefahrten lagen im Gegensatz zu den Motocross-Rennen deutlich mehr auf Ausdauer und Zuverlässigkeit.

Anstatt ihre Geländemaschine von der leichteren und 20 PS starken Motocross-Version abzuleiten, genügte es den Adler-Ingenieuren, ihren MB-Straßenmodellen einen breiten Lenker zu verpassen, ein Paar Stollenreifen über die Drahtspeichenräder zu stülpen, Gabel und Stoßdämpfer härter zu federn und den Schalldämpfer für mehr Bodenfreiheit nach oben zu verlegen – fertig war die Gelände-sportmaschine. Na ja, nicht ganz. Die griffigen Ösen an den Radsteckachsen zum Beispiel. Oder die praktischen Blechbehälter für Werkzeug und Ersatzteile. Auch an einen geschlossenen Kettenkasten mit Verlustschmierung für die Antriebskette und eine Pressluftflasche für alle Fälle hatte man gedacht. Und am Rahmenunterzug schützen zwei verschweißte Rohrbögen das Kurbelgehäuse vor Steinschlag.

Im Gegensatz zu den MB-Modellen stützen sich die geschobenen Kurzschwingen nicht an den im Gabelholm integrierten Feder-/Dämpfereinheiten der MB-Modelle, sondern an einem außenliegenden Stoßdämpferpärchen ab. Um zu verhindern, dass die Kurzschwingengabel beim Bremsen ausfedert, sorgt eine Zugstrebe an der drehbar gelagerten Bremsankerplatte für ein kraftneutrales Parallelogramm. Somit reagiert die Federung auch beim Bremsvorgang sensibel, ohne störende Einflüsse des Bremsmoments.

Nach einer kleinen Runde um Rodgau geht die Ausfahrt mit der auf Basis einer MB 250 S detailgetreu und nach Werkszeichnungen nachgebauten Sixdays zu Ende. Leider. Vorher bläst ein hurtig angesetzter Sprint über den Feldweg Kurbelgehäuse und Kanäle frei, dass es nur so raucht. Dann übergeben wir das gute Stück mit einem herzlichen Dankeschön wieder in die Hände von Horst Oberwalder.

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Die Kupplung sitzt auf dem linken Kurbelwellenstumpf, muss also höhere Drehzahlen, aber weniger Drehmoment verkraften.

Es ist Zeit für eine leckere Brotzeit bei Gemahlin Traudel, ein nettes Schwätzchen mit dem Erbauer und einen Blick in die Tiefen der Motorentechnik. Schließlich gilt die Adler-MB-Baureihe eindeutig als Vorbild für den Zweizylinder-Zweitaktmotor der 1957 vorgestellten Yamaha YD-1. Nimmt man den bildschönen Motor der Sixdays unter die Lupe, fällt auf, dass am Motorgehäuse weder eine horizontale noch eine vertikale Dichtfläche zu sehen ist. Also bleibt nur eine Lösung übrig: das Tunnelgehäuse.

Tatsächlich stecken bei den Adler-Twins die Einzelkurbelwellen in dem auf beiden Seiten offenen Gehäuse. Je ein aufgeflanschter Deckel mit integriertem Wälzlager und Dicht-ring verschließt den Kurbelraum nach außen und stützt die Kurbelzapfen ab. Der formschlüssig verzahnte und durch eine Passung zentrierte mittlere Kurbelzapfen wird über eine Schraubverbindung mit einem dazu passenden Spezialwerkzeug verspannt und arretiert die Hubscheiben der beiden Kurbelwellen verdrehsicher mit 180 Grad Versatz.

Mit dem quadratischen Bohrung-/Hubverhältnis von 54 zu 54 Millimeter schufen die Adler-Ingenieure, damals wohl unbewusst, einen Wert, der sich als das Nonplusultra herausstellen sollte. Bis in die heutige Zeit hat sich dieses 54x54-Millimeter-System bei allen Rennzweitaktern, egal ob japanischer oder europäischer Machart, als die beste Lösung bewährt.

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Originalaufnahme: eine der drei Adler, die bei der Sechstagefahrt in Garmisch-Partenkirchen vier Mal Gold holten.

Logisch, dass beim Adler-Tunnelgehäuse auch die beiden Wellen des Viergang-Klauengetriebes mitsamt Schaltmechanik in einem linksseitig verschraubten Deckel sitzen und seitlich eingefädelt werden. Nicht viel anders sind die aktuellen, so genannten Kassettengetriebe moderner Rennmaschinen aufgebaut. In den Graugusszylindern laufen Vollschaftkolben mit zwei ausgesparten Fenstern für die Überströmkanäle und zwei Kolbenringen bei den 18-PS-Motoren. Wie bei allen Zweitaktmotoren dieser Ära mussten die Kolben behutsam eingefahren werden, um einen Klemmer zu vermeiden. Was jedoch nicht immer gelang.

Auch Carl Hertweck erfuhr dies 1957 beim Test der Adler MB 250 Sprinter, als sie nach nur 20 Kilometern mit einem Kolbenfresser liegen blieb. Nur ein 2/22/29er-Bing-Vergaser, die Einlasskanäle teilen sich im Motorgehäuse auf, versorgte die MB-Motoren mit Frischgas.

Übrigens hat Yamaha diese Ansaugkonstruktion mitsamt Abdeckung bei der YD-1 eins zu eins nachgeahmt. Im Unterschied zu den Adler-MB-Modellen war diese Kopie für Yamaha der Anfang einer schier unglaublichen Erfolgsgeschichte. Während nach der Übernahme von Triumph-Adler durch die Firma Grundig die Motorrad-Produktion 1958 eingestellt wurde, überrollten die Japaner die westliche Motorrad- und Rennsportszene mit schnellen, zuverlässigen und weltmeisterlichen Zweitaktern.

Technische Daten

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Auf kurzem Weg führen die beiden Auspuffkrümmer ihre Abgase in einen gemeinsamen Schalldämpfer.

Motor
Bauart  Luftgekühlter Zweizylinder-Zweitaktmotor, schlitzgesteuert
Bohrung  54 mm
Hub  54 mm
Hubraum  247 cm3
Verdichtung  6,6 : 1
Leistung  18 PS bei 6200/min
Schmierung  Mischungsschmierung 1:25
Gemischaufbereitung  Ein Bing-Rundschiebervergaser, Ø 22 mm
 
Elektrische Anlage
Starter  Kickstarter
Batterie  6 V, 6 Ah
Zündung  Bosch Batteriezündung mit Unterbrecherkontakten
Lichtmaschine  6 Volt
 
Kraftübertragung
Kupplung  Mehrscheiben-Ölbadkupplung
Getriebe  Viergang-Getriebe, klauengeschaltet
Getriebeübersetzung  2,8/1,53/ 1,1/ 0,81
Sekundärantrieb  Kette mit Kettenkasten 
 
Fahrwerk
Rahmenbauart  Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen
Radführung vorn  Hydraulisch gedämpfte Kurzschwingengabel
Radführung hinten  Zweiarmschwinge mit zwei ölgedämpften Federbeinen
Federweg vorn/hinten  Keine Angaben
Räder  Drahtspeichenräder
Reifen vorn  3.00 - 19
Reifen hinten  4.00- 18
Bremse vorn  Simplex Trommelbremse Ø 180  mm
Bremse hinten  Simplex Trommelbremse Ø 180  mm
 
Maße und Gewichte
Radstand  1360 mm
Sitzhöhe  880 mm
Gewicht  ca. 160 kg
Tankinhalt  ca. 15 Liter
 
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit  keine Angaben
 
Preis  keine Angaben
 
Hersteller  Adlerwerke, Frankfurt am Main

Die Besitzer der Adler

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Der Besitzer des Adler-Repliks Horst Oberwalder mit seiner Frau und Sozia Traudel.

Was bleibt einem motorradverrückten Halbstarken, der zwei Kilometer von den Adler-Werken entfernt arbeitet, übrig, als seine hartverdiente D-Mark in eine flitzige 250er, made in Frankfurt, zu investieren. Horst Oberwalder hat sich früh mit dem Adler-Virus infiziert und diese „Infektion“ bis heute gepflegt. Seine Gattin Traudel, früher Sozia, heute die gute Seele in Haus und Werkstatt, hat die Leidenschaft des gelernten Mechanikers akzeptiert und sich daran gewöhnt, dass bei dem Reihenhäuschen in Rodgau samstags statt des Rasenmähers einer seiner edlen Klassiker losknattert. Allein fünf prachtvolle Adler-Modelle schmücken das "Museum". Seine 250er-Sixdays allerdings ist kein Original, sondern eine penible Replika. In gut 300 Stunden Arbeit entstand unter Mithilfe der üblichen Bastler und dem Schweißspezialisten Wolfgang Büttner die Sixdays. Horst Oberwalder kopierte die vielen Details, bog die Rahmenrohre nach einer original Werkszeichnung und machte so aus der MB 250 ein Unikat, das seinesgleichen sucht. Und weil ihr, liebe Traudel und lieber Horst, nicht nur einen Stall sehenswerter Raritäten habt, die man dem CLASSIC-Leser nicht vorenthalten darf, freuen wir uns schon auf den nächsten Besuch bei euch und euren Schätzen.

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MOTORRAD CLASSIC 6 / 2024
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Erscheinungsdatum 02.05.2024