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Christian Berkel – unser Mann für Nazifilme

Er ist einer der wenigen Schauspieler des Landes, die international gefragt sind – meist in der Rolle des bösen Deutschen: Christian Berkel. In gleich drei großen Filmen ist er bald im Kino zu sehen. Ein Gespräch über den Reiz, Nazis zu spielen, und das schwierige Verhältnis zur Heimat.

Es ist schon auffällig: Christian Berkel ist in letzter Zeit häufig in Filmen über die NS-Zeit zu sehen. Er spielte in „Der Untergang“, in Paul Verhoevens „Black Book“ und kommt jetzt mit „Tage des Zorns“, demnächst mit Spike Lees „Das Wunder von St. Anna“ sowie Tom Cruises „Walküre“ in die Kinos. Und das liegt nicht zuletzt an seinem Interesse an der deutschen Vergangenheit. Christian Berkel ist reflektiert, und so spricht er auch: entschlossen, aber nie vorschnell, er will die richtigen Worte finden. Zum Interview kommt er in schwarzem Hemd und schwarzer Hose, sein Händedruck ist fest, ebenso sein Blick. Er nickt kurz, deutet ein Lächeln an und will gleich loslegen. Zeit, so scheint es, hat Christian Berkel nicht zu verschenken.

WELT ONLINE: Herr Berkel, spielen Sie eigentlich gern Nazis?

Berkel: Natürlich fragt man sich bei jeder Rolle, ob das jetzt wieder sein muss, ob man nicht irgendwann in eine Schublade gesteckt wird. Aber es sind erstens alles tolle Rollen, die ich in der letzten Zeit gespielt habe. Und zum Zweiten lebe ich in Deutschland und muss mich hier fragen: Hat es mit mir zu tun? Und diese Vergangenheit hat mit mir zu tun. Es sind doch zum Beispiel ganze Räume durch den Nationalsozialismus für uns geschlossen worden.

WELT ONLINE: An welche Räume denken Sie da?

Berkel: Worte zum Beispiel, die wir nicht aussprechen mögen, bei denen wir zusammenzucken. Elite ist so ein Wort. Wer es ausspricht, macht sich verdächtig. Wir haben Schwierigkeiten mit den Wörtern Heimat oder Identifikation. Diese Begriffe sind besetzt, und wir müssen uns erst mühsam wieder einen Zugang erarbeiten.

WELT ONLINE: Sie könnten ja auch sagen: Ich wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, was hat das mit mir zu tun?


Berkel: Nein, das ist ein Trugschluss. Wer das sagt, täuscht sich gewaltig. Diese Zeit, diese zwölf Jahre, haben einen Einfluss auf unser Leben heute. Das hat etwas verändert in uns. Und wenn ich das erkannt habe und die Möglichkeit habe, in meinem Beruf etwas zu tun, liegt es doch nahe, sich dort dieser Zeit und ihren Phänomenen immer wieder zu stellen.


WELT ONLINE: Was hat Sie an der Rolle des NS-Offiziers in „Tage des Zorns“ gereizt?


Berkel: Ich glaube nicht, dass das nationalsozialistische System vor allem durch die Fanatiker getragen wurde. Es waren eher diese Bürokraten, die Leute, die von sich behauptet hatten, sie würden ihre Befehle bekommen und müssten sich daran halten. Was ja eine Lüge ist.

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WELT ONLINE: Wieso?

Berkel: Ich halte das nach wie vor für eine falsche Behauptung, dass jemand frei von Emotionen handelt. Jeder kommt in seinem Leben an einen Punkt, an dem ein persönliches Motiv einsetzt.

WELT ONLINE: In den vergangenen Jahren wurde viel darüber diskutiert, wie menschlich Nazis dargestellt werden dürfen. Wie sehen Sie das?

Berkel: Man kann durchaus darüber diskutieren, ob ein Film gelungen ist oder nicht. Aber schon vorher zu sagen: Man darf einen Nazi nicht als Menschen zeigen, das ist absurd! Was war er denn sonst? Natürlich war er ein Mensch. Ich finde im Gegenteil die Dämonisierung solcher Figuren problematisch, weil sie ganz viel Raum bietet, sich zu entziehen. Mit dämonischen Figuren kann man sich nicht identifizieren. Dann packt man das in eine Schublade und lässt das nicht an sich heran. Das sind verpasste Chancen.

WELT ONLINE: Wie bereiten Sie sich auf diese Rollen vor?

Berkel: Wenn man in kurzer Zeit Filme dreht, die in dieser Periode spielen, dann ist man in der jeweiligen Zeit schon ein wenig zu Hause. Mal abgesehen davon, hatte ich mich mit dieser Zeit auch schon vor der Schauspielerei auseinandergesetzt. Die eine Hälfte meiner Familie ist jüdisch. Da war das natürlich immer ein Thema.

WELT ONLINE: Hat die Beschäftigung mit der NS-Zeit Ihnen befriedigende Antworten gebracht oder eher neue Fragen aufgeworfen?

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Berkel: Stimmt, die neuen Fragen sind meist sofort da. Man muss aber irgendwann akzeptieren, dass es nicht immer Antworten gibt. Und was besonders in Bezug auf die Nazizeit gilt: Man kann noch so viel lesen oder forschen. Man wird es nie ganz verstehen. Diese Hoffnung, tatsächlich zu begreifen, was in diesen Jahren passiert ist, habe ich aufgegeben.

WELT ONLINE: Was kann ein Film wie „Tage des Zorns“ dann bewirken?

Berkel: Er kann – und das gilt genauso auch für Paul Verhoevens „Black Book“ – sich einen kleinen Akzent herausgreifen, wie hier den Widerstand gegen die Nazis in Dänemark und durch die Fiktionalisierung zur Diskussion stellen. Ich glaube, die Filme, die das versuchen, tragen etwas zur Auseinandersetzung bei. Die anderen, die versuchen, erschöpfende Erklärungen zu bieten, müssen scheitern.

WELT ONLINE: Hatten Sie aufgrund ihrer Familiengeschichte ein Problem damit, deutsch zu sein?

Berkel: In meiner Pubertät, als sich all das gefestigt hat und ich zu ersten Standpunkten gefunden habe, hatte ich starke Schwierigkeiten, mein Gefühl als Deutscher zu finden. Also es ist mir schwergefallen, mich positiv mit diesem Land zu identifizieren.

WELT ONLINE: War das einer der Gründe, warum Sie damals nach Frankreich gegangen sind?

Berkel: Unter anderem ja. Ich habe mich damals französischer gefühlt als jeder Franzose. Was natürlich eine Form von Flucht war. Sicher habe ich die Franzosen und auch andere Völker um diese positive Identifikation mit ihrem eigenen Land beneidet.

WELT ONLINE: Wann hat sich das geändert?

Berkel: Das hat eine ganze Weile gedauert. Ich habe damals überlegt, ob ich nach dem Abschluss der Schule nicht nach Frankreich zurückkehren und dort leben sollte. Ob ich dort meinen Beruf ausüben sollte. Da ich zweisprachig aufgewachsen bin, wäre das kein Problem gewesen. Aber irgendwann wurde mir klar, dass ich dieses Problem der Heimatsuche – oder wie immer man das nennen will – überall mit hinnehmen würde. Egal wohin ich ginge.

WELT ONLINE: Ist Heimat für Sie heute immer noch ein problematischer Begriff?

Berkel: Nein, mittlerweile ist das nicht mehr so. Berlin ist mir Heimat. Vielleicht sollte man sagen, wieder Heimat geworden. Ich komme von hier und bin hier, in dieser Stadt, aufgewachsen. Ich mag dieses Land und die Menschen darin jetzt mehr. Indem ich diesen Umstand gelernt habe zu akzeptieren, habe ich auch gelernt, mich selbst zu akzeptieren.

WELT ONLINE: Reden Sie mit Ihren Söhnen über Ihre Zweifel im Umgang mit der eigenen Heimat?

Berkel: Wenn ich diese Zweifel verschweigen würde, dann wäre es ein Fehler. Das bin ja ich, mit all meinen Wegen, die ich gegangen bin, mit all meinen Fragen, auf die ich nur zum Teil Antworten gefunden habe. All das gebe ich sicher nicht jeden Tag an meine Kinder weiter. Aber Verschweigen ist für mich auch keine Option.

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